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»Ganz bestimmt nicht Kate«, protestierte ich. »Vielleicht Kathleen oder Kitty, wenn sie klein ist, aber Kate klingt so schrecklich streng.«

»Genau das ist sie auch«, antwortete Larry. »Sie wurde Kate getauft«, sagte sie, »und sie bleibt Kate. Was Kitty betrifft, warte, bis du sie kennenlernst.«

»Wie ist sie?« Langsam machte mich diese Fremde nervös.

»Sie muß wohl über sechzig sein, denn sie ist nicht viel jünger als Sams Mutter, sieht aber um Jahre älter aus. Kein Wunder, wo sie ihr Leben lang für schwierige alte Eltern gesorgt hat, während sich Mrs. Lee nie um etwas kümmerte und nur ihrem Vergnügen nachlief.«

»Die Eltern müssen sehr alt gewesen sein. Ihr Vater war also Sams Großvater, oder?«

»Ja, und unsere Männer sind heute schon keine Jünglinge mehr. Der alte Großvater starb vor Jahren, aber seine Frau wurde neunzig und starb erst vor einigen Monaten.«

»Hast du sie je erlebt?«

»Nur einmal, und das ist ein Glück für uns beide. Sie war eine alte Furie, ein richtiges Relikt aus der Viktorianischen Zeit. Aber ich habe Kate mehrmals gesehen. Tante Kate, so ließ sie sich von mir nennen. Bei ihr gab es diese gräßlichen modernen Vertraulichkeiten nicht. Sie tat mir immer schrecklich leid, aber jetzt ist sie endlich frei, und ich habe sie aufgefordert, zu uns zu kommen und so lange zu bleiben, wie sie uns ertragen kann.«

»Da wünsche ich dir viel Vergnügen. Sie dürfte wohl kaum dein Typ sein.« Und meiner auch nicht, dachte ich im stillen.

»Ist sie wohl. Ich mag sie sehr gern, und du wirst sie auch mögen. Sie ist trocken, sarkastisch und lieb, ganz anders als andere Menschen. Sie bezeichnet sich selbst als alte Jungfer und sieht auch so aus, aber trotzdem ist sie ein Schatz. Gott sei Dank ist sie nicht schlecht gestellt. Ihre Eltern waren so anständig, ihr das Geld zu vermachen, und Sams Mutter war nicht gerade begeistert davon! Kate wird sich in irgendeiner Stadt ein Haus kaufen, wenn sie beschlossen hat, wo sie leben möchte., Ich hoffe eigentlich, daß sie sich unsere Gegend aussuchen wird, deshalb habe ich sie aufgefordert, hierher zu kommen, eine Weile zu bleiben und ihre Verwandten kennenzulernen.«

»Ich hoffe, sie wird sie mögen. Sie wird schon ziemlich großzügig sein müssen, und das scheint mir nach dem Leben, das sie gehabt hat, ziemlich unwahrscheinlich.«

»Sie hat überhaupt kein Leben gehabt. Ich glaube, es hat in ihrem Leben nie junge Männer gegeben. Ihre raffinierte Schwester hat sie ihr immer weggeschnappt, und Kate war nie eine Schönheit. Sie fühlt sich jetzt etwas verloren und weiß nicht, was sie mit ihrer Freiheit tun soll, deshalb wollte ich, daß sie herkommt.«

Das klang riskant, und ich war von unbekannten Verwandten ziemlich bedient. Letztes Jahr hatten wir alle schrecklich unter Ursula Maitland, der Kusine des englischen Oberst, gelitten, und diese Kate schien mir noch schlimmer zu sein. Als ich das sagte, lachte Larry.

»Mach dir keine Sorgen. Sie ist ganz anders als Ursula. Sie wird für uns alle ein neues Erlebnis sein. Sie hat überhaupt keine Illusionen und sagt ihre Meinung frei heraus, aber nur, wenn es notwendig ist. Bei ihren Eltern war sie immer still und sanft, aber innerlich hat sie, glaube ich, oft getobt — und jetzt kann sie alles nachholen. Man kann wirklich seinen Spaß mit ihr haben.« So klang es mir gar nicht. Ich fragte: »Wie steht es mit Sam? Was wird er davon halten?«

»Oh, er liebt sie. Als er noch ein kleiner Junge war, war sie reizend zu ihm. Sie hat Kinder wirklich gern, und dabei sieht sie so grimmig aus.«

Das schien mir eine komische Kombination von Eigenschaften zu sein. Ich fragte mich, ob Kate Fletcher es nicht auch als Qual empfinden würde, denn wir waren eine ziemlich abgeschlossene kleine Gesellschaft. Selbst jetzt, da der Bezirk verändert und erweitert worden war, wir gute Straßen hatten, unser Dorf einen Laden und einen Supermarkt sein eigen nannte, der von unserer lieben Miss Adams geführt wurde, die wir Tantchen nannten, selbst heute waren wir noch immer fanatische Hinterländler.

Das alles reichte bis kurz nach dem letzten Krieg zurück, als die drei Freunde Paul, Sam und Tim, die gemeinsam den Krieg durchgemacht hatten, benachbarte Farmen kauften. Vor elf Jahren hatte ich Paul geheiratet, und wir befreundeten uns sofort eng mit Larry, Sams Frau. Später heiratete Tim Anne, das einzige Kind von Oberst Gerard, damals der erste Mann des Bezirks. Zu dieser Zeit kämpfte der Oberst verbittert gegen diese Heirat, aber nun hat er Tim und uns andere längst akzeptiert. Sein Neffe Julian Arden heiratete unsere Freundin Alison Anstruther und kaufte eine Farm in der Nähe, so wurden wir eine geschlossene Familie. Miss Adams, die der Oberst wehmütig als »eine unseres Schlages« bezeichnete, gehörte schon lange zu unserem engsten Kreis, und jetzt gingen wir gelassen auf das Mittelalter zu und genossen es, in den Dreißigern zu sein.

Tony, Pauls Nichte, hielt uns jung. Vor zwei Jahren, als sie erst siebzehn war, lief sie ihrer Mutter, Pauls Schwester davon. Claudia war kühl und intellektuell, sie lebte in Melbourne; sie hatte sich von Alister Smale, Tonys Vater, scheiden lassen und einen Professor geheiratet. Dankbar hatte sie Paul zu Tonys Vormund gemacht, und seitdem lebte das Mädchen bei uns. Ich vergötterte sie einfach, und das Leben war nie langweilig, wenn Tony in der Nähe war. Von einem traurigen kleinen Mädchen war sie zu Schönheit und Fröhlichkeit erblüht. Um sich zu beschäftigen, half sie Tantchen im Supermarkt und verbrachte die Wochenenden bei uns. Zweimal im Jahr machte ihr Vater die Runde bei seinen Zweigfirmen in Neuseeland und nahm Tony mit. Dann schwelgte Tony vierzehn Tage lang in den Fleischtöpfen und kehrte hinterher sehr glücklich zu uns zurück.

Larry sagte, Tony sei mein schwacher Punkt, und ich fürchtete, sie hatte recht. Ich hatte zwei Kinder, Christopher, zehn Jahre alt, und seine jüngere Schwester Patience; ich muß gestehen, daß ich mich nicht allzu sehr um sie kümmerte. Sie machten mir viel zu schaffen, aber ich spürte, daß sie immer am Schluß kamen. Ich liebte Tony, machte mir Sorgen wegen ihrer vielen Bewunderer, fürchtete, sie würde den falschen Mann heiraten und hoffte insgeheim, daß sie sich zufällig in Peter Anstruther, Alisons Bruder, verliebte, der eine Farm in unserer Nähe betrieb. Das wäre vollkommen gewesen. Peter war ein guter Farmer, ausgeglichen, humorvoll und freundlich, und wir hatten ihn alle gern. Er war zwar jetzt fast dreißig, aber das wäre bei Tonys Lebhaftigkeit nur ein Vorteil gewesen. Ich war jedoch wenigstens so vernünftig, meine stillen Hoffnungen für mich zu behalten und Tony nicht zu beeinflussen.

In diesen engen Kreis führte Larry jetzt eine Jungfer mit Namen Kate ein, die offensichtlich zu Recht so hieß. Kein Wunder, daß ich nervös war.

»Wie wird sie sich den Kindern gegenüber verhalten?« fragte ich, aber Larry sagte, daß gerade Kinder Kate zu verstehen und zu schätzen schienen. Die kleinen Nachbarn hatten sie alle geliebt und waren die einzige Ablenkung in ihrem abgeschiedenen Leben gewesen.

 

In den drei Familien gab es sieben Kinder; sie waren fast alle sozusagen Pärchen, abgesehen von Annes Baby, das im letzten Dezember geboren und nach seinem Großvater, dem Oberst, getauft war. Anne hatte schon ein Zwillingspärchen, das jetzt fast sechs Jahre alt war; Larrys Christina hatte sich schon immer mit meinem Christopher verbündet, der sechs Monate älter war als sie, und unsere anderen Kinder, meine Patience und Larrys Mark bildeten in gleicher Weise ein Pärchen. Alle sechs besuchten jetzt die kleine Schule im Ort und bildeten eine wahre Horde.

Wir hatten mit unserer kleinen Schule und ihrem Ein-Mann-Betrieb selten Glück. Der jetzige Lehrer, James Marshall, verstand es wenigstens, Ordnung zu halten und besaß die erforderlichen Befähigungen. Aber er war nur aus einem Grund gekommen; seine kränkliche Frau, die er anbetete, brauchte ein Höhenklima und ein ruhiges Leben. Sonst interessierte er sich überhaupt nicht für den Bezirk oder die Kinder, und wir machten uns über diesen Zustand große Sorgen.

Irgendwie mußten unsere Kinder erzogen werden, und so sahen wir dem größten Unglück des Lebens im Hinterland ins Auge, nämlich sie in Vorschulen zu schicken. Annes Zwillinge konnten noch ein oder zwei Jahre weitermachen, obwohl der Oberst schon etwas von den besten Internaten murmelte, auch unser jüngeres Pärchen konnte noch bleiben. Christopher und Christina mußten uns jedoch bald verlassen, wenn sie nicht in heidnischer Unwissenheit aufwachsen sollten. Larry und ich scheuten die Vorstellung, uns von ihnen zu trennen, wo sie noch so jung waren, und wir wußten, daß unsere Männer sich Sorgen wegen des Schulgeldes machten.

Denn nach vielen besseren Jahren waren wir jetzt wieder ziemlich arm. Die Wolle war auf einen unglaublichen Preis gesunken, und unsere Farmen waren nicht gerade sehr reich an Lämmern. Wir erzielten einige Gewinne mit unserem Mastvieh, aber die Erträge wurden durch die ständig steigenden Kosten verschluckt. Löhne, Düngemittel und Transport, alles war gestiegen, während die Erzeugnisse der Farm fielen. Es würde schwierig werden, mit dem hohen Schulgeld fertig zu werden, aber wir beschlossen, daß wir es nächstes Jahr tun mußten. So hatten wir uns vor einiger Zeit um die Einzelheiten gekümmert und uns nach freien Plätzen erkundigt.

Jetzt machten Larry und ich eine Reise in die Stadt, um die Schulleiter auszufragen und die Kinder anzumelden. Unklugerweise nahmen wir die kleinen Opfer mit, weil wir dachten, sie wären begeistert von den Freuden einer Großstadt und aufgeregt beim Anblick von Anstalten, die sie später besuchen sollten. Das war ein Fehler. Die Erkundigungen waren für die Kinder eine schreckliche Tortur. Sie waren wie gelähmt durch den Lärm, die Größe der Gebäude und die allgemeine Atmosphäre einer solchen Institution. Larry erzählte mir später, daß sie sich wegen Christina schrecklich geschämt habe, die ein sehr schönes und reizendes Kind war, wenn auch nicht mit auffallender Intelligenz begabt. Alles, was sie besaß, schien sie plötzlich im Zimmer der Schulleiterin zu verlassen. »Es war schrecklich. Sie versteckte sich hinter einem Stuhl und blinzelte dahinter hervor wie ein kleines wildes Tier. Und das sind unsere Kinder vermutlich auch«, schloß sie traurig. »Kleine Landratten, glücklich in den Bergen und bei ihren Ponys, aber gänzlich hilflos in einer Stadt und voller Angst angesichts einer Institution. Verdammt, ich wünschte... «, wir sahen uns beide mit traurigen Blicken an.

Ich hatte auch keine glücklicheren Erfahrungen gemacht. Die Vorschule für die Jungens war viel größer als die bescheidene Anstalt für kleine Mädchen. Überall gab es Kinder in Massen, und als die Schule aus war, war die Luft von Lärm und die Spielplätze mit kräftigen kleinen Jungens angefüllt. Zaghaft sagte ich zu Christopher, der normalerweise ein zugängliches Kind ist: »Wird es dir nicht Spaß machen, mit vielen anderen Jungens zusammen zu sein und alle möglichen Spiele zu spielen?«

Er antwortete einfach: »Es wird die Hölle sein.«

Diese Reaktion erschreckte mich, aber als wir im Büro der Schulleiterin waren, verfiel er in Schweigen und benahm sich wie ein apathischer Schwachsinniger. Aber ich konnte seine Worte nicht vergessen, und als ich ihn an diesem Abend in einer Ecke des Motel-Schlafzimmers sah, seinen Kopf ganz nahe an Christinas und beide Gesichter schrecklich ernst, wußte ich, daß sie sich erzählten, wie sehr sie es hassen würden, zur Schule zu gehen.

Weder Larry noch ich waren begeistert. Natürlich hatte ich immer gehört, daß ein Internat der beste Platz für ein Kind sei, insbesondere für einen Jungen, der auf dem Land aufgewachsen ist. Er mußte lernen, Freunde zu gewinnen und sich anzupassen. Aber diese ganzen Asphaltfelder, der eigenartige Geruch der Klassenzimmer nach Kreide, Lederschuhen, einfach nach kleinen Jungens, und die ordentlichen Schlafsäle mit ihrer schrecklichen Unpersönlichkeit, all das bedrückte mich. Christinas Schule war netter und gemütlicher gewesen, weniger durchorganisiert, aber Larry fühlte sich auch nicht gerade glücklich.

»Ich hasse solche Anstalten«, sagte sie heftig. »Alle diese Regeln, diese kleinen Quadrate mit ordentlichen Betten und Kinder, die zu Damen erzogen werden sollen — obwohl sie der Teufel holen soll, wenn sie das mit Christina versuchen... Ich wünsche so sehr, wir hätten einen anständigen Lehrer, und das Hinterland wäre mit der Schule nicht so schlecht dran.«

»Ich glaube, das ist der Preis, den wir zahlen müssen. Niemand, der ehrgeizig oder herausragend ist, kommt an einen Ort wie diesen. Wir bekommen fast immer die Gescheiterten oder Leute, die es eben aus anderen Gründen auf sich nehmen, wie Mr. Marshall. Vielleicht geht er bald weg.«

»Da ist wenig Hoffnung. Seiner Frau geht es besser als in all den Jahren zuvor, und ein liebender Ehemann wird alles für sie opfern, vor allem unsere Kinder.«

Niedergeschlagen gingen wir nach Hause. Zu Paul sagte ich: »Ob es gar keinen anderen Weg gibt? Christopher ist zu jung für ein Internat, und ich weiß, daß er es hassen wird.« Er war beunruhigt, aber leider wie üblich entschlossen, die Dinge von der besten Seite zu sehen. »Er wird schon zurechtkommen. Eine Woche wird er Heimweh haben, sich dann einleben und Gefallen daran finden.« Das war Unsinn, wir wußten es beide.

Ziemlich hoffnungsvoll fragte ich: »Aber können wir das Schulgeld bezahlen? Es ist schrecklich teuer, und die Kinder wachsen ständig aus den Kleidern.«

»Wir müssen damit fertig werden. Ich fürchte, es bedeutet, daß wir dieses Auto noch ein Jahr fahren müssen. Ist das sehr schlimm?« Auf eine solche Bemerkung kann eine Ehefrau nur eine Antwort geben, und die gab ich. Es half nichts, darauf hinzuweisen, daß wir den Wagen schon gebraucht gekauft hatten, und zwar vor einigen Jahren. Er wurde allmählich ziemlich eigenwillig.

Am nächsten Morgen kam Sam und trug zu der allgemeinen schlechten Stimmung noch bei.

»Larry ist ganz aufgebracht wegen dieser Schulgeschichte. Sie glaubt, Christina wird unglücklich sein. Ist natürlich absoluter Unsinn. Ich sagte ihr... «

»Daß sie eine Woche Heimweh hat und es dann herrlich findet«, fuhr ich gehässig fort, und die beiden Männer tauschten verdutzte Blicke. Hastig wechselte Sam das Thema. »Ich nehme an, sie werden sich freuen, wenn Tante Kate kommt. Sie versteht es mit den Kindern. Das hat sie immer gut gekonnt.«

Ich fühlte mich unglücklich und war entschlossen, bei allem das Schlechte zu sehen. »Ich meine eher, sie wird nach ihrem ruhigen Leben in der Stadt einen Schock bekommen.«

»Ein schreckliches Leben. Meine Großmutter war ein viktorianisches Überbleibsel, und Kate war ihr jahrelang ausgesetzt. Keinerlei Freiheit oder Vergnügen.«

»Na ja, das wird sie hier bekommen, wenn sie es vertragen kann«, kommentierte ich verdrießlich.

»Oh, sie wird es vertragen. Kate ist ein phantastisches altes Mädchen. Du wirst sie mögen.«

»Larry scheint sie zu mögen.« Bei mir war ich ziemlich vom Gegenteil überzeugt.

»Ja. Sie haben eine richtige Zuneigung zueinander gefaßt, obwohl sie nur selten zusammen waren. Komisch, denn es gibt wohl selten zwei so verschiedene Menschen.«

Ich fragte vorsichtig: »Ist sie deiner Mutter irgendwie ähnlich?« (Keiner von uns mochte Mrs. Lee.)

»Kein bißchen. Das absolute Gegenteil, äußerlich, der Charakter, der Sinn für Humor, alles. Du würdest nie glauben, daß sie Schwestern sind.«

Na ja, das war wenigstens etwas.

 

Miss Fletcher kam in der folgenden Woche an, und obwohl ich darauf vorbereitet war, war ich entsetzt, als ich sie sah. Sam hatte recht; unglaublich, daß sie und die elegante Mrs. Lee dieselben Eltern hatten. Kate Fletcher war häßlich, ihre Kleider schrecklich. Selbst in ihrer Jugend hätte man mit ihrem Gesicht wohl wenig machen können, und damals hat man das auch noch gar nicht versucht. Sie war groß und eckig, und in dieser Zeit der langen oder sehr gepflegten Haare war das ihre kurz geschoren wie bei einem Mann. Es war grau, dick und drahtig, und wenn sie nachdachte, fuhr sie mit ihren Fingern durch, so daß es aufstand wie ein Hahnenkamm. Sie hatte einen großen freundlichen Mund, und ich glaube nicht, daß sie je etwas von einem Lippenstift gehört hatte. Sie besaß noch ihre eigenen Zähne, die groß waren und leicht vorstanden. Ihre Augen waren am gewinnendsten; sie waren so dunkelgrau, daß sie manchmal schwarz aussahen. Es war unmöglich, etwas zu tun, damit sie gut aussah. Miss Fletcher hatte sich schon früh damit abgefunden, eine unscheinbare Frau zu sein.

Ich hatte mich gefragt, wie sie Larrys Tiersammlung ertragen würde, doch als ich sie im Garten sitzen sah, umringten sie alle, und sie schien sich dabei wohl zu fühlen. Der alte Neufundländer Mouse hockte zu ihren Füßen und sah sie mit unverhohlener und erstaunlicher Bewunderung an. Das kleinste Spanielbaby kaute vergnügt an der Lasche ihres großen viereckigen Schuhs, und Miss Fletcher lächelte, als sie die Hausziege Marilyn beobachtete, wie sie den Gartenzaun erkletterte. Sie mochte offensichtlich Tiere genauso gern wie Kinder, und das war gut so, denn von beidem würde sie umgeben sein.

Ihr Lächeln wurde grimmig, als sie mich grüßte, und ich dachte: >Sie jagt mir eigentlich Furcht ein; scheint völlig durch einen hindurchzusehen<; aber es folgte schnell Erleichterung, als ihr Blick versöhnlicher wurde.

Ich begann nervös: »Ist es nicht komisch für dich, zwischen all diesen Tieren zu sitzen? In der Stadt hast du sicher kaum welche gehabt, oder?«

»Gar keine, doch ich wünschte mir immer Haustiere. Einmal hatte ich ein Kätzchen und taufte es Charles. Aber es stellte sich heraus, daß es eine Charlotte war, und meine Mutter zwang mich, es wegzugeben.«

Ich fragte mich, in welchem Alter sie dieser Schlag wohl getroffen hatte. Wahrscheinlich, als sie schon eine Frau in mittleren Jahren war und trotzdem dem Befehl ihrer Mutter demütig folgte. Nein, nicht demütig, merkte ich, als ich sie wieder ansah; mit absolutem inneren Widerstand und sehr unglücklich, aber völlig hilflos. Was für eine schreckliche alte Frau mußte die Mutter gewesen sein!

Sie streichelte den Neufundländer. »So schmeichelhaft. Niemand hat mich je zuvor so angesehen. Ich kann nicht sagen, daß ich seinen Geschmack bewundere, aber es hebt die Moral.«

Mit dieser Bemerkung war nicht so leicht fertig zu werden. Kate Fletcher merkte das und lächelte herb. »Jetzt versuche nicht, höflich zu sein. Das kann ich nicht ausstehen, und, wie ich gehört habe, werden wir zwei wahrscheinlich viel zusammen sein. Mit diesem Unsinn wollen wir erst gar nicht anfangen. Ich bin nicht nur nicht schön, sondern ich rede auch nicht schön. Das ist wohl die Art einer alten Jungfer, aber ich hatte vorher nie Gelegenheit, dem nachzugeben. Meine Eltern hätten das nicht mitgemacht. Aber jetzt hole ich das nach; schließlich ist es mein einziger Luxus.«

Ich lachte. »Na ja, bei mir brauchst du kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Larry und ich haben zehn Minuten nach unserer ersten Begegnung aufgehört, höflich zu sein, und das war vor elf Jahren.«

»Herrlich, wenn sich zwei Mädchen finden. Und Tims Frau hast Du auch noch. Sie war heute morgen hier, und ich war natürlich völlig erschlagen. Hübsche blonde Mädchen wirken immer auf alte Jungfern, vor allem, wenn sie noch ein entzückendes Baby mitbringen.«

»Anne und Gerard sind beide sehr liebenswert. Besser hätten Larry und ich es nicht haben können.«

»Alles ist nett und gemütlich. Freundlich zu Außenseitern und trotzdem eine heimliche Warnung, das Innerste nicht zu betreten. Ein ausgewählter kleiner Kreis. Ich beglückwünsche dich dazu.«

Ihre klugen Augen funkelten und nahmen der Bemerkung jeden beleidigenden Ton. Ich sagte: »Du bist aber kein Außenseiter. Du gehörst wirklich richtig zu unserem Kreis«, denn ich hatte aus ihrer Stimme Sehnsucht herausgehört.

»Das ist nett, Susan, natürlich nehme ich das an. Ich war auf diese geschlossenen Zirkel im Hinterland nicht vorbereitet.«

»Geschlossene Zirkel? Was für ein schreckliches Wort. Klingt wie ein Haufen sehr selbstzufriedener Intellektueller.«

»Oh, nicht nur Intellektuelle werden etwas selbstgefällig.«

Das war ein kluger Hinweis, und ich mußte lachen. »Ich habe so das Gefühl, als würdest du schon verhindern, daß wir zu selbstgefällig werden«; und das würde sie tun, wenn sie immer so redete, wie schon in den zehn Minuten nach unserer ersten Begegnung.

Bedenken hatte ich nur wegen Tony. Der Rest von uns würde damit fertig, aber Tony war doch sehr modern. Nicht zu ausgefallen, aber es reichte. Selbst in meiner Jugend vertrugen die Jungen nicht gut Kritik. Wie würde sie die leicht bitteren Kommentare dieser Dame aus der Zeit König Eduards hinnehmen? Ob die Daten nun stimmten oder nicht, in diese Zeit paßte Miss Fletcher mit Sicherheit. Wie würde Tony auf dieses braune, hochgeschlossene Kleid reagieren und auf diesen Rock, der ganz unfreiwillig Maxi war, auf ihre flachen Absätze, auf ihr kurzes, sprödes Haar und vor allem auf ihre scharfe Zunge?

Die Antwort erfolgte sofort, denn gerade in diesem Augenblick kam Tony auf ihrem Pony Babette die Straße heraufgeritten. Es war zwar nicht Samstag, aber manchmal, wenn es im Supermarkt nicht soviel Arbeit gab, ritt Tony für einen Abend nach Hause, und da Larrys Haus auf ihrem Weg lag, machte sie normalerweise einen kurzen Besuch. Ich vermute, daß sie sich dieses neue Mitglied unseres »Zirkels«, wie Miss Fletcher ihn etwas lieblos nannte, ansehen wollte, und sie winkte, als sie zum Tor hineinritt. Kate saß noch aufrechter, wenn das überhaupt möglich war, und winkte zurück.

»Lieber Himmel, ist das ein schönes Bild. Der bezaubernde Rotschopf, von dem ich schon gehört habe, ein Anblick, der alte Augen erfreut. Kein Wunder, daß sie dein ein und alles ist, Susan.«

»So hat Larry also schon etwas erzählt.« Aber ich versuchte auch nicht, es zu leugnen. »Ich habe immer etwas für schöne Menschen übrig, vor allem wenn sie fröhlich und freundlich sind. Aber weißt du, sie ist sehr modern.«

»Warum nicht? Ist das eine Warnung für eine alte Jungfer? Wer so aussieht, kann so modern sein, wie er will.«

Tony war von Babette abgestiegen und kam den Weg hinauf; dabei redete sie die ganze Zeit.

»Susan, mein Schatz, diesen Abend habe ich frei, denn es ist ziemlich ruhig, und Caleb sprang gern ein«. Tony, die eine Leidenschaft für arme Teufel besaß, hatte den armen verzweifelten Caleb vor einem Jahr entdeckt und ihn in der kleinen Hütte hinter Tantchens Laden einquartiert, wo er leben und außerdem ihr selbst und Tantchen bei der Arbeit helfen sollte. Er war jetzt glücklich und wirklich ein Gewinn; wenn ihn niemand hetzte, konnte der gute Alte ohne weiteres ein paar Stunden auf den Supermarkt aufpassen.

Tony hatte mich umarmt und grüßte nun Tante Kate, wie üblich mit einem hervorsprudelnden Redefluß. »Du bist Sams Tante Kate. Bitte, sei für uns alle Tante Kate. Wie schön, daß du bei Larry bleibst, ist das nicht ein zauberhafter Ort, und ist Larry nicht wunderschön? Herrlich, so auszusehen, wenn man weit über dreißig ist.«

»Ein unglaubliches Alter. Sie müßte eigentlich schon runzlig und gelb sein wie ich. Und du bist sicher fast zwanzig, oder? Für so ein junges Ding hast du dir ein komisches Leben ausgesucht.«

»Oh, es ist ein herrliches Leben. Ich wollte nicht um alles in der Welt in einer Stadt leben. Ich habe Melbourne gehaßt. Mit meiner Mutter habe ich mich nie vertragen, weil ich nicht so klug war wie mein Bruder Robert. Außerdem hat sich mein Vater wirklich ziemlich schlecht benommen. Das stimmt, Susan; sieh mich nicht so an. Ich habe ihn lieb, und es macht mir auch nichts aus, die meisten Männer würden sich bei Mutter schlecht benehmen. Sie ist so überheblich. Dann hat sie ihn laufen lassen und einen Professor geheiratet, der für sie genau das Richtige, aber für mich die Hölle war. War es da nicht ein Glück, daß ich zu Susan und Paul flüchten konnte?«

Ich war verwirrt. Wir waren alle daran gewöhnt, daß Tony über ihre Eltern und alles andere offen sprach, aber hier hatte sie eine Fremde vor sich. Ich brauchte mir jedoch keine Sorgen zu machen, denn sie lächelte nur und sagte: »Deine Lebensgeschichte in einem Atemzug — oder den Anfang davon. Sei nicht so sicher, daß dies das einzig mögliche Leben ist. Es gibt noch andere gute Möglichkeiten.«

»Aber nicht so gut wie diese. Natürlich habe ich manchmal gerne etwas Abwechslung, deshalb reise ich zweimal im Jahr mit meinem Vater durch die Städte, wenn er herüberkommt. Das mache ich vierzehn Tage lang auch ganz gern. Aber dann reicht es. Danach komme ich hierher zurück, und das ist das Beste an der ganzen Geschichte.« Ich gab mir Mühe, nicht eingebildet auszusehen, aber Kate blickte mich höhnisch an und sagte: »Das Beste von zwei Welten — aber warte nur ab. Irgendein junger Mann wird dich in die Stadt locken, und du wirst feststellen, daß das letztlich am besten ist.«

»Werde ich nicht tun. Was wettest du, Tante Kate?«

»Ich wette nicht. Das ist eine schlechte Angewohnheit. Aber wir werden sehen.«

In diesem Augenblick kam Larry aus dem Haus, und das Gespräch hörte auf. Aber es hinterließ ein etwas ungutes Gefühl bei mir. Kate hatte recht. Tony war zu jung, um sich dem Leben im Hinterland ganz zu verschreiben. Sie mußte noch viel lernen.

Beim Tee erzählte sie uns den ganzen Klatsch aus dem Bezirk. Sie führte jetzt praktisch mit Hilfe von Caleb und einem ganz reizenden Mischlingsmädchen von siebzehn Jahren den Supermarkt. Die Geschäfte gingen gut, und Tantchen lachte immer über die vielen Junggesellen, die bei ihr einkauften, seit sie Tony hinter den Ladentisch gestellt hatte.

»Sollte das Postamt einmal ausgebaut und ein richtiges Haus hingestellt werden, dann werde ich mich dorthin zurückziehen und Tony das Geschäft überlassen«, sagte sie immer.

Jetzt sagte Tony: »Am aufregendsten finde ich, daß Peters Stute ihr Fohlen bekommen hat. Ich werde es mir am nächsten Wochenende ansehen.«

Peter war natürlich Peter Anstruther, auf welchem meine stillen Hoffnungen für Tony ruhten. Die nächste Neuigkeit war willkommen, machte mich jedoch etwas unruhig.

»Endlich kommt ein neuer Arzt. Er wird in dem Haus wohnen, das sie gegenüber vom Supermarkt gebaut haben. Hoffentlich wird es lustig.« Einen Arzt zu bekommen war schon gut.

Der letzte war nur drei Monate geblieben, und Ersatz zu finden war nicht leicht. Was die Ärzte betraf, so war die Lage in Neuseeland äußerst schwierig; sogar in den Städten herrschte ein akuter Mangel. Auf dem Land, wo für viele Annehmlichkeiten gesorgt wurde, und sogar in den Städten auf dem Lande waren kaum welche zu bekommen, und wir hatten einige Schwierigkeiten in Tiri gehabt, seit unser letzter Doktor gegangen war. Ich sagte: »Hoffentlich bleibt er länger als der letzte, aber ich glaube es kaum. Vielleicht hat er eine Frau wie Mrs. Marshall, die das Hinterland für ihre Gesundheit braucht.«

Die letzte Arztfrau hat das Leben hier gehaßt, und ich machte ihr keinen Vorwurf, sie war an ihr kleines Häuschen in Tiri gebunden, und ihr Mann war ständig unterwegs.

»Er hat Gott sei Dank keine Frau.«

Als Tante Kate fragte, ob Tony Ehefrauen nicht möge, sagte sie: »Nein, wenn sie wie diese Frau an nichts im Bezirk ein gutes Haar lassen. Jedenfalls wird es ohne Frau einfacher mit ihm sein.«

Das war schon möglich, denn man konnte von den meisten Arztfrauen kaum erwarten, daß es ihnen in Tiri gefiel. Es war erstaunlich, daß sie überhaupt einen Arzt gefunden hatten, der bereit war, hierher zu kommen, wenn auch mit einer solchen Praxis gutes Geld zu machen war. Aber man verdiente es schwer, denn die Arbeitszeit war lang, die Entfernungen weit, und es gab keinen Notarzt, der einen am Wochenende ablöste, während die anderen Ärzte Golf spielten. Man konnte jungen ehrgeizigen Männern keinen Vorwurf machen, wenn sie nicht hierher kommen wollten, wo man doch in der Stadt unter besseren Umständen sein Geld leichter verdienen und noch wertvolle Erfahrungen sammeln konnte. Der ganze Bezirk würde dankbar sein, überhaupt einen Arzt zu haben, aber ich hoffte, daß es ein mittelalterlicher Witwer sein würde, den Tony sicher bemuttern würde, sich aber nicht in ihn verlieben konnte. Da das unwahrscheinlich schien, hoffte ich auf einen selbstsicheren, forschen jungen Mann, der mit irgendeiner bezaubernden Krankenschwester >ein Verhältnis< hatte.

Ich glaube, Tante Kate hatte meine Gedanken erraten, sie sagte jedoch nur: »Man kann sich viel besser erholen, wenn man eine Frau hat und ein gutes Essen, das nach einer langen Fahrt über diese schrecklichen Straßen auf einen wartet.«

Das war gerade die Gefahr. Da er keine Frau hatte, würde Tony sicher Mitleid mit ihm bekommen, und sie war der geborene Schutzengel, vor allem für jeden, der ihrem geliebten Hinterland diente. Vor zwei Jahren war ihr siebzehnjähriges Herz fast wegen eines kränklichen frommen Pfarrers zerbrochen, der sich für seine Pfarrkinder abplagte. Diese unheilbare Leidenschaft für arme Kerle brachte sie in diese Schwierigkeiten. Ein gebrechlicher Krüppel würde jedoch kaum freiwillig nach Tiri kommen.

Tony fuhr fort: »Er heißt Oliver Barrett und soll sehr nett sein. Das ist seine erste eigene Praxis, und er will auf jeden Fall sechs Monate bleiben. Das ist immerhin etwas.«

Larry machte ein hämisch belustigtes Gesicht. Sie hatte mich immer mit meiner Zuneigung für Tony aufgezogen, aber sie gab zu, daß es manchmal Anlaß zur Beunruhigung gab. Tony war schön, attraktiv, aber nicht sehr vernünftig. Außerdem würde sie eines Tages zu Geld kommen, denn ihr Vater war ein wohlhabender Mann. Ein junger Arzt würde nicht lange brauchen, um zu merken, daß sie mehr war als »das kleine Mädchen, das hinter dem Ladentisch steht«.

Sie wäre sowohl eine gute Partie als auch eine attraktive Ehefrau. Ich sagte wenig überzeugend: »Es wird gut sein, jemanden hier zu haben und die Kranken nicht dreißig Kilometer weit zum nächsten Arzt fahren zu müssen — und sechs Monate ist immerhin etwas.« Insgeheim hoffte ich, daß nicht zuviel daraus werden würde.